
Am 28. Januar 2025 wird am Landgericht Oldenburg das Urteil im Prozess um den Tod eines schwerstbehinderten 23-Jährigen erwartet. Die 57-jährige Mutter ist wegen heimtückischen Mordes angeklagt und hat die Tat vor Gericht gestanden. Sie sah für ihren pflegebedürftigen und teils aggressiven Sohn, der seit seiner Geburt geistig und körperlich stark beeinträchtigt war, keine Perspektive mehr und plante gemeinsam mit ihm aus dem Leben zu scheiden. Der Fall zieht daher nicht nur juristische, sondern auch soziale und medizinische Fragestellungen nach sich.
Im Juni 2023 stellte die Mutter in Wilhelmshaven einen angezündeten Holzkohlegrill in einen abgedichteten Wohnwagen, wo sie sich zusammen mit ihrem nicht sprechenden Sohn auf ein Bett setzte. Um ihn zu beruhigen, gab sie ihm ein Beruhigungsmittel, fütterte ihn mit Schokoladenkuchen und gab ihm sein Lieblingsspielzeug. Beide verloren schließlich das Bewusstsein; während die Mutter planwidrig wieder aufwachte, starb ihr Sohn.
Ausweglose Situation
Die Gründe für diese tragische Entscheidung sind vielschichtig. Der 23-Jährige hatte im Laufe seines Lebens zahlreiche gesundheitliche Herausforderungen bewältigen müssen, darunter auch Epilepsie, die ihm im Alter von 18 Jahren diagnostiziert wurde. Selbstverletzendes Verhalten und Aggressionen führten dazu, dass die Mutter fürchtete, ihr Sohn könnte andere Menschen erheblich verletzen.
Ein Wechsel in eine andere Wohngruppe durch die Heimleitung brachte zusätzlichen Stress. In dieser ausweglosen Situation verfasste die Mutter einen Abschiedsbrief an ihren Ehemann und ihre zwei anderen Kinder, während ihr Ehemann zum Zeitpunkt der Tat auf Dienstreise war. Sie hatte auch Angst, dass ihr Sohn in der Psychiatrie keine angemessene Betreuung erhalten würde.
Rechtlicher Rahmen und Gewaltschutz
Nach der Tat wurde die Mutter vorübergehend in die Psychiatrie eingeliefert. In der öffentlichen Diskussion um den Fall wird auch deutlich, dass Menschen mit Behinderungen, speziell in Einrichtungen der Behindertenhilfe, einem hohen Risiko ausgesetzt sind, Gewalt zu erfahren. Eine umfassende Studie des Instituts für empirische Soziologie (IfeS) beleuchtet diese Problematik und zeigt, dass strukturelle und rechtliche Schutzmechanismen häufig unzureichend sind. Die Studie, im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, bietet quantitative und qualitative Befragungsergebnisse sowie Handlungsempfehlungen für institutionelle Betreuungen.
Der Prozess und die ihm zugrunde liegenden Emotionen führen zu einer intensiven Debatte über Verantwortung, Unterstützung und Schutz für gefährdete Menschen in unserer Gesellschaft. Wie die aktuellen Ergebnisse zur Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen zeigen, sind umfassende Maßnahmen dringend erforderlich, um sowohl das Leben von Betroffenen zu schützen als auch die Pflegenden in Krisensituationen zu unterstützen.
Heute wird das Plädoyer erwartet, das die weitere rechtliche Vorgehensweise maßgeblich beeinflussen könnte. In dieser dramatischen und herzzerreißenden Geschichte sind nicht nur rechtliche Fragen von Bedeutung, sondern auch die zugrunde liegenden sozialen Probleme und der Umgang mit Behinderungen in unserer Gesellschaft.