
Die Auseinandersetzung mit der komplexen Realität von Exil und politischer Verfolgung wird am Deutschen Theater in Göttingen eindrucksvoll in der Uraufführung von „Die ersten hundert Tage“ von Lars Werner thematisiert. Die Inszenierung, unter der Regie von Ebru Tartıcı Borchers, beleuchtet das Schicksal von vier Freunden, deren Beziehungen durch politische Umstände und persönliche Schicksale auf die Probe gestellt werden. Vor zwei Jahren waren Roya, Lou, Marin und Silvio beste Freunde, doch mittlerweile sind ihre Lebenswege durch gravierende Ereignisse auseinandergegangen.
Roya flüchtete aufgrund von Bedrohungen im Rahmen ihrer journalistischen Arbeit ins Exil. Lou wiederum sah sich mit der Einstellung seines Lehrstuhls für Gender-Studien konfrontiert. Marin geriet auf eine Liste politisch Verdächtiger, was seine Sicherheit gefährdet, während Silvio sich in einer Position befindet, in der er die Hilfe seiner ehemaligen Freunde in Anspruch nehmen möchte. Die Reunion entblößt alte Konflikte und die politischen Gräben, die sich inzwischen zwischen ihnen aufgetan haben. Das Aufeinandertreffen der einst engen Vertrauten zeigt, wie politische Umstände persönliche Beziehungen erschüttern können. Besonders die Begegnung mit einem Grenzpolizisten symbolisiert Silvios schleichende Distanz zu seinen Freunden.
Hintergrund der Thematik
Die Thematik des Exils und der Verfolgung von Journalisten ist nicht nur Teil des Stücks, sondern auch ein brennendes aktuelles gesellschaftliches Thema. In vielen Ländern, einschließlich Russland, ist journalistische Arbeit mit großen Risiken verbunden. Informant*innen sind oft gefährdet und die Möglichkeit, Informationen zu verifizieren, ist stark eingeschränkt. Exilierte Journalist*innen erleben zudem eine doppelte Belastung, wie die Menschenrechtsaktivistin Altıntaş in ihren Forderungen nach besseren Asylverfahren und juridischer Unterstützung für bedrohte Journalist*innen betont. Der Exilstatus geht häufig mit Resilienz, Verletzlichkeit und einer tiefen Nostalgie einher.
In Deutschland gilt ein rechtlicher Schutz für Journalist*innen, der ihnen durch Artikel 5 und Artikel 16 des Grundgesetzes gewährt wird. Dennoch gibt es keine verlässlichen Statistiken zur Anzahl der Exiljournalisten. Die ankommenden Geflüchteten bringen verschiedene Fluchtgründe mit; nicht alle von ihnen sind politisch verfolgt worden. Trotz der positiven Wahrnehmung des Begriffs „Exiljournalist“ im Vergleich zu „Flüchtling“ bleibt die Integration dieser Menschen eine Herausforderung.
Aktuelle Situation von Journalist*innen im Exil
Die Zahl der Exiljournalisten aus Ländern wie der Türkei, dem Iran und nordafrikanischen Staaten ist in den letzten Jahren gestiegen, bedingt durch die anhaltende Verschlechterung der Pressefreiheit weltweit. Türkische Journalist*innen zieht es oft nach Deutschland, da die dort ansässige türkische Community ein Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt. Laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ wurden jährlich mehrere Dutzend Journalist*innen zur Flucht gezwungen. Unter den Exiljournalisten sind auch viele aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, sowie aus Ländern wie Aserbaidschan, Usbekistan und Kuba.
Die Herausforderungen im Exil sind vielfältig. Journalist*innen wie Yury Davydov kämpfen mit ökonomischer Prekarität, während sie versuchen, sich in einer neuen Gesellschaft einzufinden. Durchschnittlich bleiben Bewerbungen bei deutschen Medien unbeantwortet, was die Angst vor Ungewissheit und dem Auslaufen von Aufenthaltserlaubnissen verstärkt. Dennoch empfinden viele Exilierte, wie Davydov, eine gewisse Freiheit in Deutschland, während sie gleichzeitig vor den emotionalen Belastungen der Flucht stehen.
Die Uraufführung von „Die ersten hundert Tage“ schafft nicht nur einen Raum für künstlerische Reflexion über Freundschaft und politische Umstände, sondern spiegelt auch die realen Herausforderungen wider, mit denen viele Journalist*innen im Exil konfrontiert sind. Die Aufführungen am 14.03., 20.03., 27.03., 03.04. und 17.04. bieten somit einen wichtigen Diskurs über Beziehungen, Identität und die Folgen politischer Verfolgung.
Die Berichterstattung über diese Themen wird weiterhin durch internationale Zusammenhänge, wie die aktuelle Verfolgung von Journalist*innen in verschiedenen Ländern, geprägt. Ein Beispiel dafür ist Valery Nechay, ehemaliger stellvertretender Chefredakteur von Echo of Moscow, der die emotionalen Belastungen durch die restrictive Gesetzgebung in Litauen beschreibt. Diese und ähnliche Geschichten verdeutlichen die Notwendigkeit, sich für die Rechte und Freiheiten von Journalist*innen, sowohl im Exil als auch im Heimatland, stark zu machen.
Für weitere Informationen über das Stück und die Hintergründe des Exiljournalismus können detaillierte Einblicke in den Artikeln von TheaterKompass, Amnesty und der Körber-Stiftung gewonnen werden: TheaterKompass, Amnesty, Körber-Stiftung.